Die Metall- und Elektro-Industrie arbeitet mit Hochdruck an der Produktion von morgen, die von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) geprägt ist. So sieht das beim Familienunternehmen und Elektrotechnikspezialisten Weidmüller aus.
Schaltschränke: Das sind doch die grauen Kisten mit technischen Innereien? Nicht bei der Detmolder Firma Weidmüller. Der Elektrotechnikhersteller macht aus den unscheinbaren Kisten smarte Teile mit Hightech-Komponenten, die übers Internet vernetzt sind: Sie können mit der Fertigungsanlage online kommunizieren und selbstständig agieren. Ohne
menschliches Zutun.
„Das ist das industrielle Pendant zum vernetzten Kühlschrank, der die Milch selbst nachbestellt. Oder zum selbstfahrenden Auto“, sagt Björn Griese, der bei Weidmüller in Ostwestfalen die Forschung und Entwicklung in Sachen industrieller Automatisierung und Digitalisierung leitet.
Bis zu minus 40 Grad müssen die KI-Komponenten aushalten
Die Experten des Familienunternehmens, das mit Klemmen für Schaltschränke groß geworden ist, entwickeln intelligente Lösungen für verschiedene Branchen. Es geht um IoT (Internet of Things) oder Internet der Dinge – aktuell das große Thema in der Industrie.
„Unsere Kunden wollen jederzeit den Status ihrer Produktionsanlagen überwachen“, sagt Griese. Deshalb sammeln die Maschinensteuerungen im Schaltschrank Riesenmengen an Daten von den Sensoren und Aktoren der Anlagen ein. Der Clou: Die Analysten von Weidmüller lernen damit eine künstliche Intelligenz (KI) an. Sie ahmt das menschliche Denken nach, kann aber im Nu unglaubliche Mengen an Informationen verarbeiten.
Die KI vergleicht Normal- und Ist-Zustand der Maschine – und erkennt Unregelmäßigkeiten. So können Bauteile rechtzeitig ausgetauscht oder nachjustiert werden. Damit kommen die Entwickler ihrem Ziel immer näher: eine vorausschauende Wartung, die vor Produktionsausfällen schützt.
Und die Technik muss auch bei Extremtemperaturen funktionieren: In einem Raum voller Racks, Gestelle mit Elektronik-Aufbauten, testet die Firma die Soft- und Hardware stunden- und tagelang. Im Klimaschrank werden die Komponenten Temperaturen zwischen plus 70und minus 40 Grad ausgesetzt.

Entwickeln von IoT und Automatisierung unter einem Dach mit Wissenschaft
Vor einem Jahr sind die insgesamt 250 Mitarbeiter der Entwicklung IoT-fähiger Komponenten und der Automatisierungslösungen sowie das Produktmanagement und das Applikations- und Serviceteam in die „Zukunftsmeile 2“ (ZM2) in Paderborn eingezogen. Weidmüller teilt sich das Gebäude mit der Uni Paderborn, dem Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik und Mechatronik und mit IT-Firmen. In der ZM2 gibt es jede Menge gemeinsam genutzter Flächen: Labors und Räume für Teamarbeit, Büros, gemütliche Sitzecken und Kaffeeküchen. Das soll den Wissensaustausch fördern und Kooperationsprojekte anschieben.

„Natürlich haben wir auch früher mit Forschungseinrichtungen zusammengearbeitet“, sagt Griese. „Aber da mussten wir an unterschiedlichen Standorten zusammenkommen. Hier ist alles unter einem Dach.“ Rolf Sohrmann ergänzt: „Die Leute sind greifbar, man trifft sich auf dem Flur oder in der Kantine, es sind Studierende dabei“, sagt der Weidmüller-Experte für maschinelles Lernen. Und die Fahrradständer sind voll, obwohl wegen Corona gar nicht so viele Leute im Haus sind: ein Zeichen für einen hohen Anteil von Studierenden.
Nachwuchs zu finden, fällt dem Hersteller von Automatisierungstechnik hier leicht. Er bietet den jungen Leuten schon während des Studiums Einblicke in die Praxis. Griese: „Wir hatten etwa sechs Studierende bei uns, die Stromausfälle mithilfe unserer Produkte analysierten und eine Alarm-App programmierten. Für sie ist es interessant zu lernen, wie Embedded Software in der Industrie geschrieben wird.“ Also sich mit Systemen zu befassen, die Geräte völlig autonom steuern, überwachen und regeln.
Auch mit den anderen Firmen in der Zukunftsmeile findet Weidmüller Schnittstellen. Gemeinsam entwickeln sie intelligente Stromversorgung und Analyse-Software für die Fertigung oder die Lade-Infrastruktur für E-Autos.
Experimentierraum für das Arbeiten von morgen
Die „Zukunftsmeile“ will ein Experimentierraum sein: mit flexiblen Arbeitszeiten und „Springer“-Arbeitsplätzen zwischen Paderborn und dem Firmensitz in Detmold. Mit Zonen für konzentriertes Arbeiten und für Gedankenaustausch. Mit Projekträumen auf Zeit, wo Mitarbeiter, Forscher, Studierende und Freiberufler die Köpfe zusammenstecken. Mit
Werkstätten, wo man programmieren oder den Kunden die Innovationen vorführen kann. Allerdings konnte sich das Konzept unter Corona noch nicht entfalten.

Damit sich die Bewohner der „Zukunftsmeile“ dennoch besser kennenlernen, organisierten sie einen virtuellen Makeathon. Die Gewinneridee: ein standortübergreifendes digitales Schwarzes Brett. Man sucht damit Mitstreiter für ein Forschungsprojekt – oder für die Runde Sport am Nachmittag.
Fotos: Weidmüller / Daniel Roth