Aktuell stehen wir mit der von Wirtschaftsminister Robert Habeck ausgerufenen Frühwarnstufe des Notfallplans Gas auf Stufe eins einer dreistufigen Skala des Warnsystems. Noch läuft das Erdgas aus Russland. Doch das könnte sich schnell ändern. Energiewissenschaftler Malte Küper vom Institut der deutschen Wirtschaft ordnet die aktuelle Situation und mögliche Auswirkungen für die Industrie ein – bis hin zu Produktionsausfällen.
Herr Küper, wie ist die aktuelle Situation in den Unternehmen? Wie bereiten sie sich auf ein mögliches Embargo oder einen Lieferstopp für Erdgas aus Russland vor?
In den Unternehmen wird derzeit genau analysiert, was ein Importstopp für sie bedeuten würde, inwieweit die Versorgung weiter gewährleistet wäre und in welchem Rahmen möglicherweise der Gasverbrauch reduziert werden könnte. Auch eventuelle Lieferschwierigkeiten beim Bezug von gasintensiven Vorprodukten stehen auf der Agenda.

Was passiert, wenn Russland tatsächlich den Gashahn abdrehen würde?
Die Vorbereitungen für ein solches Szenario wurden seitens der entsprechenden Behörden während der vergangenen Wochen sicherlich getroffen, denn es ist schon länger klar, dass die Lieferungen von einem Tag auf den anderen ausfallen könnten. Kurzfristig wären wir also ganz gut vorbereitet. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass wir das russische Gas bei einem andauernden Lieferstopp in den nächsten Jahren nicht in dem Maße ersetzen könnten, wie es uns fehlen würde.
Die Folgen für die Industrie wären massiv. Was geschieht genau, wenn kein Gas mehr fließt?
Kommt es jetzt zu einer Unterversorgung an Gas, sind gerade die kommenden zwei Winter sehr kritisch. Es drohen Produktionsausfälle in der Industrie, da sie anders als private Verbraucher bei der Gasversorgung nicht als geschützt gilt. Wenn zu wenig Gas da ist, bleibt sie also außen vor. Besonders gasintensiv ist die Chemieindustrie, aber auch die
Metall- und die Glasindustrie setzen viel Erdgas ein. Zwischen den Industrien gibt es zudem sehr weitreichende Vernetzungen. Auch Unternehmen, die nicht direkt auf Erdgas setzen, werden deshalb betroffen sein, wenn sie Vorprodukte von Unternehmen beziehen, die wiederum viel Gas brauchen.
Welche Optionen haben wir, um die Auswirkungen eines Lieferausfalls abzumildern?
Da geht es gerade um alles: Verbrauch reduzieren, gemeinsam mit der EU neue Lieferländer erschließen, Gasspeicher füllen. Selbst wenn wir morgen ganz viel Flüssiggas auf den Weltmärkten bekommen würden, würde das nicht ausreichen, um Russlands Gaslieferungen vollständig zu ersetzen. Das heißt, wir müssen parallel dazu einsparen, wo
es möglich ist, und wir müssen die Speicher füllen. Gerade im vergangenen Jahr haben wir gesehen, wie kritisch es im Januar und Februar wird, wenn man im Oktober mit niedrigen Speicherständen in den Winter geht. Für die nächsten Winter gibt es daher seit kurzem verpflichtende Mindestspeicherstände in der EU, eine sinnvolle Maßnahme wie ich finde. Aber natürlich brauchen wir auch erstmal das Gas, um diese Speicher füllen zu können.