Wasserstoff ist für die Dekarbonisierung zentral. Genau wie die M+E-Industrie: Sie liefert Grundlagen und investiert Milliarden in die klimaneutrale Energie.
So wie RWE, Thyssenkrupp, Evonik und andere Unternehmen, die an neuen Produkten und Prozessen mit grünem Wasserstoff als Energieträger arbeiten. Wasserstoff wird durch Elektrolyse aus Wasser gewonnen: Strom spaltet das H2O-Molekül in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff. „Grün“ wird es aber erst, wenn Ökostrom dafür verwendet wird.
Für Wasserstoff als Energieträger braucht es aber auch neue Materialien und Maschinen. Ein Beispiel ist die Brennstoffzelle: Darin werden Wasserstoff und Sauerstoff zusammengeführt. Die reaktionsfreudigen Gase verbinden sich explosionsartig zu Wasser und setzen Energie frei. Jede Brennstoffzelle hat zwei Kammern mit Stahlplatten an den Seiten. Durch ihre hauchfeinen Kanäle werden die Gase kontrolliert ein- oder abgelassen. Das Unternehmen Wälzholz aus Hagen beliefert die Hersteller von Brennstoffzellen mit hochwertigen, sehr reinen Präzisionsbandstählen für diese sogenannten Bipolarplatten.

Stahlbleche in Haaresbreite für die Brennstoffzelle
Ein Fahrzeug benötigt mehr als 400 Brennstoffzellen und hat nur wenig Platz. „Wir sind in der Lage, für diese Anwendung extrem dünne rostfreie Präzisionsbandstähle herzustellen“, so Werkstoffingenieur Jan Ullosat von Wälzholz. Die Stahlbleche sind so dünn wie ein menschliches Haar, gleichzeitig formstabil und strapazierfähig, um den Erschütterungen und Schwingungen beim Fahren standzuhalten.
Auch für Lagerung und Transport von Wasserstoff haben M+E-Unternehmen Lösungen: Unter Druck komprimiert, lässt sich Wasserstoff per Schiff, Lastwagen oder Pipeline transportieren. Wystrach aus Weeze und Vako aus Kreuztal haben die Expertise, dickwandige Hochdruck-Behälter aus Stahl zu bauen. Das äußerst flüchtige Gas stellt höchste Anforderungen an die Qualität der Schweißnähte. Die Behälter werden an stationären und mobilen Tankstellen und auf wasserstoffbetriebenen Zügen eingesetzt.
Tanks von Lkw, Baumaschinen und von Autos mit Brennstoffzelle müssen dagegen leicht sein: Nproxx aus Jülich stellt sie aus Carbonfasern her. Vorher muss das Gas aber verdichtet werden: Die Kompressoren von Neuman & Esser (NEA) setzen es bis zu 900 Bar unter Druck. Der Produzent aus Übach-Palenberg beliefert Raffinerien und H2-Tankstellen.
Thyssenkrupp investiert 8 Milliarden Euro für grünen Stahl
Für die Wasserstoff-Technologie nimmt allein Thyssenkrupp rund 8 Milliarden Euro in die Hand – Stichwort „grüner Stahl“. In der ersten Projektphase, die Anfang des Jahres erfolgreich abgeschlossen wurde, untersuchte der Konzern, wie Roheisen im Hochofen mit Wasserstoff statt Kohlenstaub hergestellt werden kann – und zwar in einem der 28 Blasformen des „Hochofens 9“ am Standort Duisburg. Jede Tonne Wasserstoff spart in der Stahlproduktion 26 Tonnen des klimaschädlichen Kohlendioxids ein.
2022 wird der Versuch auf alle Blasformen ausgeweitet, um den Einfluss von Wasserstoff auf die metallurgischen Prozesse im Hochofen zu erforschen. Darauf folgt, so Arnd Köfler, Produktionsvorstand von Thyssenkrupp Steel, „der nächste entscheidende Schritt zur Klimaneutralität“. Die konventionellen Hochöfen werden durch Anlagen ersetzt, die komplett ohne Kohle betrieben werden können. Der erste „Hochofen 2.0.“ soll 2025 in Betrieb gehen. Bis 2050 sollen alle vier Hochöfen den Direktreduktionsanlagen, wie die neue Technik heißt, nach und nach Platz machen.
Grund: Einen Antriebsstrang mit Verbrennungsmotor, Kupplung, Schaltung, Getriebe und Auspuff brauchen E-Autos nicht. In ihnen stecken weniger Teile, das verringert den Arbeitsaufwand. Für Hunderttausende Beschäftigte komme es, so die Studie, zu starken Veränderungen ihres Berufsbildes – das erfordert Umschulung und Weiterbildung in großem Stil.
Andrerseits bringt die E-Mobilität gut 200.000 neue Jobs – vor allem bei Herstellern von elektrischen Komponenten und Ladesäulen. Ein großer Teil wird dabei auf die Batteriefertigung entfallen.
Das Münchner Ifo-Institut hingegen kam in einer vom VDA in Auftrag gegebenen Studie im Mai zu dem Ergebnis, dass bis 2025 durch schrumpfende Verbrenner-Produktion mehr Stellen wegfielen, als Beschäftigte in Rente gingen. Bis zu 221.000 Jobs stünden auf der Kippe. Auch die Ifo-Autoren setzten als Lösungskonzepte auf Weiterbildung und Umschulung.

Die Nachfrage nach Wasserstoff steigt – und damit auch nach Erneuerbaren
Dadurch steigt der Bedarf an grünem Wasserstoff: Für die erste Versuchsreihe am Hochofen wurden die Gasmengen noch per Lkw angeliefert, für die zweite ist schon eine Pipeline nötig. „Wir brauchen diesen Wasserstoff in ausreichenden Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen. Entsprechend muss der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und der Ausbau erneuerbarer Energien forciert werden“, teilt der Konzern mit.
Schon in den nächsten Jahren braucht das Unternehmen 20.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr. Bis 2050 werden es 720.000 Tonnen sein. Um seinen Bedarf langfristig zu decken, prüft das Unternehmen derzeit verschiedenste Bezugsquellen und Kooperationen.