Ingenieure bei DILAS brauchen individuelle Regelungen
Geistesblitze kennen keine Ruhepausen: Im digitalen und globalen Zeitalter brauchen Arbeitnehmer und Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie mehr Freiheit bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit. Starre Regelungen im Arbeitszeitgesetz behindern die Kreativität. Wie wichtig die Flexibilität im Herz der Wirtschaft ist, zeigt der Diodenlaser-Spezialist DILAS. Hochmotivierte Ingenieure arbeiten dort aus Eigeninitiative auch nach offiziellem Dienstschluss an ihren Innovationen.
„Präzision.“ Bernd van der Smissen sagt es häufig, vereinzelt „Genauigkeit“. Und immer wieder benutzt er die Steigerungen, „Hochpräzision“ und sogar „Ultrapräzision“. Er spricht leise und recht schnell, sodass man auch präzise zuhören muss. Van der Smissen kommt von der deutschen Ostseeküste, wo die Menschen nicht unbedingt für ihr hektisches Wesen bekannt sind. Aber wenn der Diplom-Ingenieur über seine Arbeit beim Mainzer Diodenlaser-Spezialisten DILAS spricht, scheint ihn etwas zu treiben, so wie er erklärt und zeigt und vorführt.
Einen Getriebenen darf man ihn sicher nennen, den Konstrukteur aus dem Bereich Forschung und Entwicklung. Personalleiter Christian Moll spricht sogar von einem „positiv Verrückten“. Seit elf Jahren arbeitet der 42-jährige van der Smissen bei DILAS, entwickelt neue Fertigungsmaschinen, baut sie und sorgt dafür, dass sie in der Produktion eingesetzt werden können.
Starre Regelungen bremsen Ideen aus
Kein Beruf, der nach acht Stunden endet, eher die sprichwörtliche Berufung. Denn van der Smissen arbeitet gerne mal ohne Auftrag weiter, unangekündigt und in seiner Freizeit. Einfach, weil er eine Idee hat, wie man einen Produktionsschritt, den DILAS bislang an Dritte herausgeben muss, auch selber machen kann. „Es geht um die hochpräzise Bearbeitung hochspiegelnder Oberflächen“, erklärt van der Smissen: Er hat eine Fräsmaschine konstruiert, die sogenannte Wärmesenken mit einem Industriediamanten bis auf einen Tausendstelmillimeter genau bearbeitet. Auf diese Senken werden Laserbarren gelötet, die fertigen Produkte setzen dann DILAS-Kunden etwa aus der Automobil- und Medizintechnik, aus Optik, Projektions- und Messtechnik ein.

„So ein Projekt kann man nicht vorweg planen. Das macht man aus dem Interesse, etwas können zu wollen“, sagt van der Smissen. „Abends dachte ich mir mal, es wäre doch schön, diesen Prozess im Haus zu haben.“ 2012 war das. Da hatte er schon vier Jahre an einem ersten Prototypen gearbeitet, mit dem er nur schleifen konnte, und nur Bauteile bis zu einer Größe von zwei Zentimetern. Er wollte mehr. Was er bauen wollte, gab es zwar auch am Markt zu kaufen. Das aber wäre einerseits sehr teuer gewesen – und hätte andererseits seinen Ehrgeiz kaum befriedigt.
Manche Teile für die größere Maschine ersteigerte van der Smissen bei ebay, wo ausgeschlachtete Festplattentestmaschinen aus dem Silicon Valley angeboten werden: „Ich brauchte luftgelagerte Achsen, weil die wesentlich steifer sind als Kugellager und wesentlich genauer im Rundlauf.“ Zwischen 100 und 1.000 Dollar pro Stück haben sie ihn schließlich gekostet, bezahlt hat er mit eigenem Geld. Auf der Arbeit wollte er anfangs nicht um Unterstützung bitten, was genau er plant, hat er zunächst niemandem verraten. „Gefragt habe ich nicht groß, einfach gemacht. Das ist ja mein Job.“ Außerdem sei so ein Projekt schwer anzukündigen: „Es kann ja auch nach hinten losgehen.“ Zur Fertigung der noch fehlenden Teile und zur Montage blieb er nach Feierabend häufig länger in der Werkstatt, wenn man ihn gelassen hätte, wäre er die Wochenenden über wohl auch gekommen. „Aber das geht nicht: Arbeitsschutz.“
M+E-Arbeitgeber unterstützen Initiativen der Mitarbeiter
Erst als er sicher war, dass seine Pläne aufgehen, hat er DILAS eingeweiht. Zur allgemeinen Begeisterung: „Das Besondere ist die private Initiative. Es gab keine Kundenanfrage, keinen Vorgesetzten, der gesagt hätte ‚Jetzt machen Sie das mal‘“, sagt Personalleiter Moll. „Bei einigen unserer Mitarbeiter sind Entwicklung und Konstruktion Hobbys, die in die Arbeit einfließen. Wenn sich das zu so einer idealen Lösung zusammenfügt, ist das für uns natürlich großartig.“ Die Fräsmaschine soll demnächst in den Fertigungskreislauf eines neuen Produkts integriert werden, für das gerade ein Raum eingerichtet wird. Was genau es können wird, darf Dilas nicht sagen. Aber dass die Produktion noch problemloser läuft, je mehr Schritte am selben Orte erfolgen, liegt auf der Hand: „Die ‚Assembly‘ wird leichter, wenn man vor der Montage die Einzelflächen hochgenau bearbeitet hat, sie dann zusammenbaut und der nächste Bearbeitungsschritt folgt“, sagt van der Smissen. „Sonst müsste man das wegschicken, herkommen lassen, montieren, wieder wegschicken …“
Den Optimierungsdrang hat er nicht erst, seit er aus der Solarindustrie zu DILAS gestoßen ist. Bei der Führung durch den Reinraum, mit Kittel, Mundschutz, Brille und Schuhüberziehern, zeigt van der Smissen immer wieder auf Maschinen, die er ganz oder in Teilen selbst gebaut hat. Dort etwa die Hochvakuumanlage, in der die Laserbarren auf die Wärmesenken gelötet und mit Jod bedampft werden. In der hat er ein Kupferbauteil durch eins aus Edelstahl ersetzt. Oder dort eine der zahlreichen Testmaschinen für die Laserdioden.

Arbeitnehmer brauchen Freiräume für Innovationen
Begonnen jedoch hat alles viel früher, in der siebten oder achten Klasse. Da bekam van der Smissen ein Teleskop geschenkt und las fortan regelmäßig die Astronomiezeitschrift „Sterne und Weltraum“. Er verschlang die Berichte, vor allem die Aufrisszeichnungen von Teleskopen und Zubehörteilen. „Das war Ultrapräzision. Ich habe dann auch versucht, Teleskopspiegel selber zu bauen, habe Glas poliert, mit verschiedenen Körnungen. Das fand ich sehr faszinierend.“ Nebenbei konstruierte er sich einen Kassettenrekorder, „hochpräzise natürlich“. Während des Studiums der physikalischen Technik an der FH Lübeck folgte dann eine Drehbank für den Privatgebrauch, und für seine Diplomarbeit „Entwurf und Konstruktion eines Spektrographen für die Messung der Doppelverschiebungen von Sternen“ erhielt van der Smissen 1997 den Ingenieur-Preis einer örtlichen Stiftung.
„Ich denke mir immer nochmal eins obendrauf“, beschreibt er sein Credo. „Und wenn es dann gebraucht wird, habe ich es schon halb räumlich im Kopf stehen.“ Die neue Fräse habe „konstruktiv widersprüchliche Anforderungen“ erfüllen müssen – sehr stabil, aber auch sehr genau justierbar. Hinzu kommen Platzbeschränkungen in den DILAS-Räumen. Im Ergebnis heißt das: Die Maschine hat insgesamt nur etwa 1,5 Kubikmeter umbauten Raum. Sie ruht auf einem Gestell aus Granit, das Schwingungen schluckt und so ultrapräzises Bearbeiten erst ermöglicht. Justierbare Gummifederungen verstärken die Laufruhe noch. Hinter Plexiglastüren dreht sich ein Fräskopf mit bis zu 10.000 Umdrehungen pro Minute, sehr langsam schiebt sich das Bauteil unter den Diamanten am Fräsarm.
Das Herz der Wirtschaft lebt von kreativen Mitarbeitern
Bis es soweit war, musste van der Smissen verschiedene Kleinigkeiten im Aufbau ändern, Zweifel kamen ihm aber nicht. „Wenn’s schiefgeht, stehe ich auf und mache weiter. Umdenken musste ich nie. Ich wollte gucken, was so geht, die Erfahrungen machen und lernen.“ Dass er stolz ist, sogar sehr stolz, verrät der Ingenieur erst auf Nachfrage. Gedanken an Euphorie oder Vorfreude angesichts des bevorstehenden Regelbetriebs seiner Schöpfung kann er kaum verschwenden. Zu viele Projekte laufen parallel, zu viele Maschinen und Prozesse, an denen etwas angepasst oder neu gedacht werden muss.
So kommt das Lob eben von anderen: „Die Marktanforderungen ändern sich, die Anwendungsbereiche erweitern sich“, sagt Personalleiter Moll. „Da brauchen wir flexible, kreative und im besten Fall auch noch leidenschaftliche Mitarbeiter, die auch mal neben dem Tagesgeschäft ihre Ideen vorantreiben. Von so etwas leben wir.“
Foto: Jan Michael Hosan