„Die Digitalisierung der Industrie ist auch eine Kulturfrage“

Wenn Strukturwandel auf Kulturwandel trifft: Das Smart Monitoring System von Lewa hilft Energie einzusparen sowie Störungen frühzeitig zu erkennen und wurde agil entwickelt.

Wie steigt ein Maschinenbauer in die Entwicklung von Lösungen für die digitale Produktion ein? Der Pumpen- und Systemhersteller Lewa hat sich mit agilem Arbeiten, einem interdisziplinären Team und Partnern auf Entwicklungs- und Kundenseite auf den Weg in die Digitalisierung der Industrie gemacht. Programmleiter Moritz Pastow berichtet von den Herausforderungen und der Bedeutung von digitaler Produktionsüberwachung.

Die Digitalisierung der Industrie ist auch eine Kulturfrage. Jedenfalls nach den Erfahrungen von Moritz Pastow. Als Programmleiter Digitale Services bei Lewa erlebt er an den internationalen Märkten die unterschiedlichsten Reaktionen auf das jüngste digitale Lewa-Produkt, ein Smart Monitoring System: „In Nordeuropa zum Beispiel haben wir Kunden, die bereits über eine riesige Digitalinfrastruktur in ihren Fabriken verfügen und uns immer gefragt haben, warum Pumpen die einzigen Aggregate sind, die noch nicht digital sind“, sagt der 36-Jährige.

In Zeiten gestörter Lieferketten ist Smart Monitoring Gold wert

Mit Lewa Smart Monitoring können Kunden des Leonberger Unternehmens die Werte einer Produktionsanlage inzwischen von jedem beliebigen Ort überwachen. Es zeigt, ob und wie schnell Kunden reagieren müssen, sagt voraus, wann Wartungen fällig werden. „In Zeiten von Reisebeschränkungen und Lieferkettenstörungen ist das Gold wert“, sagt Pastow. Bei vielen Lewa-Kunden kostet ein Produktionsstillstand schließlich schnell mal ein paar Millionen Euro.

Auch die Energieeffizienz ist Teil des Monitorings. “Im Dauerbetrieb konsumieren Pumpen enorm viel Energie”, erklärt der Digitalmanager. Angesichts der angespannten Energiesituation und der steigenden Kosten für CO2-Emissionen hat die Industrie hier aktuell ein hohes Interesse an Langzeitanalysen zum Energieverbrauch und Beratung für mehr Energieeffizienz, wie es Lewa anbietet.

Industrie in Deutschland durch Datenschutzdebatte bei Digitalisierung zurückhaltend

Es begann mit Tanz-Clips und Play-backs. Dann gingen sie zu witzigen Büroszenen über – mit durchschlagendem Doch während das Pumpenüberwachungssystem im Nordeuropa und auch in Asien gut ankommt, stößt es hierzulande noch auf verhaltenes Interesse. „Deutschland ist ein bisschen träge, was sicher auch am klassischen Verständnis von Maschinenbau liegt“, so Pastow.  Auch Datenschutz und Datensicherheit spielten eine Rolle. „Die Debatte um die Datenschutzgrundverordnung hat viele dauerhaft abgeschreckt.“

Über die digitale Produktionsüberwachung können die Service-Ingenieure von Lewa auch einen Remote Support durch Live-Analysen von Betriebsdaten anbieten. (Foto: Lewa)
Über die digitale Produktionsüberwachung können die Service-Ingenieure von Lewa auch einen Remote Support durch Live-Analysen von Betriebsdaten anbieten. (Foto: Lewa)

Auch bei der Entwicklung des Überwachungssystems schlugen Pastow, sein Team und der Entwicklungspartner generic.de, ein Karlsruher Softwareunternehmen, kulturelle Brücken: „Lewa kommt aus dem klassischen Maschinenbau. Neuentwicklungen ist man hier über ein Anforderungsmanagement mit Lastenheft angegangen, wie das in der mechanischen Konstruktion üblich ist. Das setzt eindeutige Anforderungen voraus, nimmt aber die Flexibilität, sich im Entwicklungsprozess agil der besten Lösung zu nähern“, sagt der Digitalmanager.

Wie werden Erfahrungen aus 70 Jahren Diagnostik für digitale Produktion nutzbar?

Denn die Ziele, die das Produkt erfüllen sollte, sind komplex: Zur Regelungstechnik kommen Betriebsüberwachung, Diagnostik und Vorhersagen. Und zwar für Membranpumpen, die in physikalischen Extremen zum Einsatz kommen: traditionell in der Öl- und Gasförderung, heute auch häufig in der Chemie- und Pharmaindustrie. „Unsere Pumpen sind gefragt, wenn hohe Drücke bis 1.000 bar entstehen, gefährliche Stoffe gefördert werden oder sehr teure wie in der Pharmaindustrie“, sagt Pastow. „Hier ist es natürlich wichtig, genau zu definieren, was die Pumpe können muss.“

Lewa Smart Monitoring ist ein Überwachungssystem aus Sensorik, Speicherprogrammierbarer Steuerung (SPS), Industrie-PC (IPC) und Datenanalyse. (Foto: Lewa)
Lewa Smart Monitoring ist ein Überwachungssystem aus Sensorik, Speicherprogrammierbarer Steuerung (SPS), Industrie-PC (IPC) und Datenanalyse. (Foto: Lewa)

Bei digitalen Anwendungen sei statt der Anforderungen der Produktnutzen Ausgangspunkt der Entwicklung, erklärt Pastow. Gesucht war zum Start des Projekts 2019 also die beste Antwort auf die Frage „Was soll das Produkt können?“. Die Expertise für die Diagnostik, also Überwachung und Wartungsprognosen, hat Lewa in 70 Jahren Erfahrung aufgebaut. Doch wie packt man dieses Diagnostikwissen in ein digitales Produkt, das an die Pumpen angebaut wird?

Durch agiles Arbeiten in Entwicklungssprints zum marktreifen Digitalprodukt

„Dafür haben wir ein interdisziplinäres Team mit Entwicklungsingenieuren, Produktmanager, Vertrieb und IT-Hintergrund zusammengestellt und als erstes eine gemeinsame Sprache geschaffen” erklärt Pastow, der selbst aus dem IT-Bereich kommt. “Denn wenn zum Beispiel ein Entwicklungsingenieur über Signalverarbeitung spricht, verstehe ich es als Nicht-Elektrotechniker erstmal nicht.“ Nach der Sprache kam die Wahl der Arbeitsweise: „Es war schnell klar, dass wir agil arbeiten.“

Im Entwicklungsprozess hat Lewa verschiedene Partner an Bord geholt, die diese Arbeitsweise teilen: der Softwareanbieter generic.de half, fachliche Lücken zu schließen. Und auch auf Kundenseite fand Lewa Unternehmen, die bereit zum agilen Entwickeln waren. Dabei nähert sich ein Team in mehrwöchigen Entwicklungssprints und durch regelmäßige Einbindung der Nutzer nach und nach dem sogenannten MVP, dem Minimum Viable Product oder minimal funktionalen Produkt. Im konkreten Fall lieferte Lewa immer wieder eine Weiterentwicklung an den Kunden, holte Feedback ein und griff es im folgenden Sprint auf. „Schon 2020 haben wir den ersten Prototypen bei Kunden installiert, um Betriebsdaten zu bekommen. Zu sehen, dass es funktioniert, hat uns einen guten Push gegeben“, erinnert sich Pastow.

Moritz Pastow ist Programmleiter Digitale Services bei Lewa und hat die Entwicklung des ersten Digitalprodukts beim Maschinenbauer koordiniert. (Foto: Lewa)
Moritz Pastow ist Programmleiter Digitale Services bei Lewa und hat die Entwicklung des ersten Digitalprodukts beim Maschinenbauer koordiniert. (Foto: Lewa)

Förderung der Digitalisierung: zu kompliziert und wenig transparent

Ebenso gab es Feedbackschleifen, die neue Diskussionen im Team angestoßen haben. „Unsere Kunden haben sich im Bereich Internet of Things genauso vorgetastet wie wir und auf einmal festgestellt, dass wir nicht mehr nur über Pumpen, sondern auch über IT-Infrastruktur und IT-Security reden mussten.“ Pastow und sein Team mussten noch einmal neu denken. Vor allem dieses ständige Abgleichen mit dem tatsächlichen Produktnutzen beim Kunden hat zur Produktreife von Lewa Smart Monitoring geführt. Seit Oktober 2021 ist es am Markt – und muss sich als Überwachungs- und Prädiktionssystem nun nur noch über die Kulturen hinweg an allen Märkten behaupten.

In der Entwicklungsphase war auch die Digitalisierungsförderung durch die Politik hilfreich. „Allerdings sollten die Fördertöpfe transparenter beworben werden und der Antragsprozess klarer sein“, wünscht sich Pastow. Noch sei das Abrufen von Mitteln eine große Hürde.

Fotos: Lewa