Arbeiten mit Lieferengpässen

M+E-Unternehmen wurden hart von den plötzlichen Lieferengpässen getroffen. Noch immer kämpfen Firmen wie RAFI mit der Situation. Fünf Beschäftigte berichten über den Alltag.

Schon in der Pandemie stand die Produktion in vielen Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie phasenweise still. Lieferengpässe haben die Abläufe in vielen Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie im vergangenen Jahr ohne Vorwarnung torpediert. Und die Probleme halten immer noch an. Ein gutes Beispiel dafür ist RAFI: Der baden-württembergische Mittelständler, der 1200 Mitarbeiter hat und ein Weltmarktführer für Bediensysteme und Elektronikprodukte ist, bildete eine Taskforce, die sich um die Lieferprobleme kümmern sollte. Fünf Mitglieder dieser Arbeitsgruppe berichten, wie drastisch die kurzfristigen Ausfälle im vergangenen Jahr waren, was sich verändert hat – und wo die Lage immer noch enorm angespannt ist. 

„Bei den Elektronikbauteilen ist es immer noch kritisch“

Carmen Köberle, Produktmanagement:

„Ich habe diese Taskforce geleitet, die sich ausschließlich um die Materialbeschaffung gekümmert hat. Wir haben erlebt, dass anstelle von 1,5 Tonnen nur 500 Kilo geliefert wurden – die nächste Lieferung sollte dann erst ein halbes Jahr später kommen. So lange können wir unsere Kunden aber nicht warten lassen!

Sehr knapp war unter anderem ein spezielles Kunststoffgranulat. Wenn wir dies durch ein anderes Material ersetzen, müssen wir das Material erst qualifizieren. Das heißt: auf Tauglichkeit prüfen und eine bestimmte Zulassung in den USA beantragen. Das kostet viel Zeit und Geld. Kunststoff ist inzwischen zum Glück wieder verfügbar, aber bei den Elektronikbauteilen ist es immer noch kritisch.“

„Oft ist unklar, wie die Ware transportiert werden kann“

Jürgen Schoch, Einkauf:

„Aus Kunststoffgranulat fertigen wir eigene Spritzgussteile, zum Beispiel für Not-Halt-Schalter. Das Material ist erheblich teurer geworden. Pro Quartal kostet es mindestens 9 Prozent, manchmal aber auch 40 bis 50 Prozent mehr. Da spielt auch eine Rolle, dass die Kunststoffherstellung sehr energieintensiv und gaslastig ist. Ein Mikrochip, der früher 2,50 Euro gekostet hat, kann jetzt 70 bis 80 Euro kosten. Fast täglich flattert irgendeine Preiserhöhung herein.Auch die Lockdowns in China spüren wir in Form von Lieferverspätungen bei Kabeln, Elektronikbauteilen oder Spritzgusswerkzeugen. Oft ist außerdem unklar, wie die Ware transportiert werden kann: Fährt ein Schiff oder klappt es mit der Bahn?  Letzteres ist jetzt auch problematisch, weil der Bahnverkehr durch Russland nicht mehr zuverlässig funktioniert.“

„Manche Lieferzeiten haben sich von zwei Monaten auf zwei Jahre verlängert“

Daniel Brucker, Vertriebsunterstützung:

„Ich bin Projektleiter im LCM-Team, das die Änderungen an unseren Produkten koordiniert, prüft und umsetzt. Die Engpässe sind für uns eine große Herausforderung, weil sie so kurzfristig kommen und wir sehr schnell reagieren müssen. Manche Lieferzeiten haben sich – ohne Vorwarnung! – von zwei Monaten auf zwei Jahre verlängert. Über kurzfristige Zukäufe von Zwischenhändlern mussten wir öfter mal innerhalb eines Tages entscheiden, sonst war die Ware weg. Dabei ging es um Kosten, die sich zum Teil verdreißigfacht hatten! Die Situation ist auch jetzt noch kaum berechenbar. 10 bis 20 Vorprodukte, die wir brauchen, sind immer noch knapp.“

Die Situation bei RAFI in Ravensburg ist immer noch außergewöhnlich. (Foto: RAFI)
Die Situation bei RAFI in Ravensburg ist immer noch außergewöhnlich. (Foto: RAFI)

„Wir nehmen den Aufwand auf uns, damit unsere Kunden keine Produktionsausfälle haben“

Sebastian Mennig, Entwicklung:

„Im Elektronikbereich ist unser größtes Problem nach wie vor der Chipmangel. Aber auch wenn ein anderes spezielles Bauteil für eine Leiterplatte fehlt, können wir das nicht so einfach ersetzen. Denn die Komponenten müssen ganz bestimmte Anforderungen erfüllen. Um ein alternatives Teil in eine Leiterplatte zu integrieren, müssen wir gegebenenfalls die gesamte Leiterplatte überarbeiten, inklusive der Software-Anpassungen und der dadurch erforderlichen Qualifizierungsprüfungen. Das bedeutet viel Aufwand und Kosten. So kann der Ersatz eines fehlenden Controllers – das ist das Herzstück unserer Leiterplatten – ein halbes Jahr oder sogar länger dauern.

Warum wir diesen Aufwand auf uns nehmen? Damit unsere Kunden keine Produktionsausfälle haben. Für uns geht es um die Lieferfähigkeit eines Teilsystems – für unseren Kunden aber zum Beispiel um eine Landmaschine oder vielleicht um ein wichtiges medizinisches Gerät.“

„Die höheren Beschaffungskosten haben wir zunächst selbst geschultert“

Florian Ruess, Vertrieb:

„Im Vergleich zu 2021 hat sich die Situation zwar gebessert, aber noch lange nicht normalisiert. Letztes Jahr haben wir mit einigen Kunden feste wöchentliche Meetings eingerichtet, um einen regelmäßigen Austausch über tatsächliche Bedarfe und Engpässe zu haben. Unsere Lieferfähigkeit steht an allererster Stelle, damit bei den Kunden auf keinen Fall die Bänder stillstehen. Das ist uns gelungen, wir sind immer lieferfähig geblieben.

Wenn wir Prioritäten setzen mussten, dann nicht nur nach Größe der Kunden, sondern auch nach Dringlichkeit. Die höheren Beschaffungskosten haben wir zunächst selbst geschultert und unsere Preise erst spät erhöht. Im Laufe der letzten zwölf Monate hat sich bei vielen Kunden ein Verständnis entwickelt, dass diese Preisanpassungen aufgrund der Entwicklungen am Markt notwendig sind.“